Eröffnung der Praxis durch Dr. Hans Lindemann (Großvater), geb. am 26.03.1893 in Lemgo. Er war 1919 als dekorierter Fliegeroffizier aus dem aktiven Militärdienst entlassen worden und hatte von 1919 - 1921 in Trimestern sein Studium der Zahnmedizin abgeschlossen (Trimester wurden nach dem ersten Weltkrieg vorübergehend eingeführt, um die Semesterferien zeitlich zu nutzen).
Da er mittellos war mietete er bei Ernst Löwenstein drei Zimmer und eröffnete dort die Zahnarztpraxis. Aufzeichnungen von Dr. Fritz & Anni Lindemann über diese Zeit

Erwerb und Umzug in das alte Haus an der Pyrmonter Straße 35a (später #5)

Anschaffung der ersten Röntgenapparatur, ein schweres Monstrum mit einer ca. 1,50 m hohen Säule und einem höhenverstellbaren Schwenkarm von ca. 1 Meter. Ein Hinweis auf die Möglichkeit des Röntgens stand damals sogar unter dem Praxisschild.

Anschaffung einer "modernen" Einheit (Behandlungsstuhl), sie hatte ein Speibecken mit fließendem Wasser, einen Schwebetisch, eine elektrische Bohrmaschine mit Gestänge und Fußschalter, einen Luftbläser und eine aufwärmbare Sprayflasche. Die Beleuchtung des Arbeitsfeldes bestand aus einem hellen, weitgehend schattenfreien Vier-Lampen-Licht. Der Stuhl musste mit einem Trethebel hochgepumpt und von Hand an der Rückseite eingestellt werden. Der Kompressor für den Luftdruck war relativ klein und in die Einheit integriert.
Dazu wurde ein Sterilisierapparat und ein sog. stummer Assistent, ein ca. 1,00 m breiter, auf Rollen fahrbarer Schrank mit Schubladen für Instrumente und einer großen Arbeitsfläche, angeschafft. Aufzeichnungen Dr. Fritz Lindemann über diese Zeit

Kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs wurde Großvater zum Militärdienst eingezogen und diente später im Krieg, in dessen weiterem Verlauf sein erster Sohn Hans in Russland fiel. Die Praxis erhielt zunächst Dr. Sträter, dann Dr. Alois Koch aus Schloss Neuhaus, als Vertreter. Aufzeichnungen Dr. Fritz Lindemann über diese Zeit

Großvater wird wegen einer Rückenverletzung durch Sturz vom Pferd auf gemeinsamen Wunsch mit Dr. Alois Koch ausgetauscht er war ab dann wieder als Zahnarzt in Steinheim tätig und Dr. Koch ging während des weiteren Krieges in ein Feldlazarett als Arzt / Zahnarzt. Nach dem Krieg arbeitete Dr. Koch als Zahnarzt in Schloss Neuhaus, Paderborn.

Großvater kommt für insgesamt 20 Monate ins Internierungslager, zwischenzeitlich wird die Praxis durch einen Treuhänder verwaltet.

Die Praxis kam nach einigen Gesuchen bei der englischen Militärbehörde und Unterstützung durch Karl (Böller) Löwenstein wieder unter Großvaters Regie.

Am 20. April 1955 legte mein Vater, Dr. Fritz Lindemann, sein Staatsexamen ab und war anschließend auf Vermittlung seines Doktorvaters Professor Fischer in den Praxen von Dr.Wunderling, Bad Pyrmont, und später bei seinem damals 63 jährigen Vater tätig.

1956 promovierte mein Vater zum Dr. med. dent. und bemühte sich anschließend darum, die Praxis seines Vaters zu übernehmen, damit wurde auch die Lokalanästhesie (Betäubungsspritze), damals für die zahnärztliche Praxis neu und keineswegs selbstverständlich, in die Praxis eingeführt. Aufzeichnungen Dr. Fritz Lindemann über diese Zeit

Spritze

Aanschaffung eines Borden-Airotor (einer Turbiene), eine für damalige Verhältnisse technische Sensation zum exakten, leichten und drucklosen Präparieren von Zahnhartsubstanzen. Mittels der Rollen an dem hochkant stehenden Kasten konnte das Gerät abwechselnd nach Bedarf an jeder der beiden Einheiten benutzt werden, die nur durch eine Holzschiebewand als Sichtschutz getrennt waren.

Ehe

Vater und Mutter (Agnes Stehr) heiraten und ziehen in das erste Obergeschoss des Hauses an der Pyrmonter Straße 5. Mein Vater hatte inzwischen die Kassenzahnärztliche Zulassung und übernahm de facto die Praxis. Großvater, mittlerweile an den Papiermühlenweg umgezogen, erschien nur morgens, um alte Patienten im Wartezimmer zu begrüßen und eventuell noch gute Bekannte zu behandeln, wenn diese das gelegentlich mehr oder weniger wünschten. Er kannte nicht, wie heute absolut selbstverständlich, die Technik der Lokalanästhesie (Betäubungsspritzen), die mein Vater mitlerweile perfekt beherrschte, und war dementsprechend unbeliebt bei den Patienten. Wie mir später Patienten in der Praxis verrieten gingen diese in volle Deckung wenn Großvater fragte, ob jemand von ihm behandelt werden will :-)

Großvater stirbt im Alter von fast 80 Jahren.

Wird fortgesetzt

Aufzeichnungen Dr.Fritz & Anni Lindemann:

Mein Vater eröffnete die Praxis als Zahnarzt am 1.8.1921 im Löwenstein’schen Haus an der Detmolder Straße. Er hatte sich mit seinem Studienfreund Dr. Kasemeyer geeinigt, dass er mit seiner katholischen Frau ins westfälische, katholische Steinheim gehe, und Kasemeyer ins lippische, evangelische Barntrup.
Zahnärzte gab es noch kaum. In Steinheim war ein alteingesessener Dentist Aloys Böger tätig. Sein Nachfolger wurde später durch Einheirat Dr. Lehrfeld. Mein Vater galt lange Jahre als „Buiter“ d.h. als Zugezogener, und dazu war er auch noch Protestant. Deswegen kamen auch viele Patienten aus dem evangelischen Lippe zu ihm.

In den ersten Monaten von 1922, als meine Eltern erst gerade ins Löwenstein’ sche Haus an der Detmolder Straße eingezogen waren und unter ganz beengten Verhältnissen lebten, kam morgens früh einer der vielen Knechte, die die Milch vom Bauernhof zur Molkerei an der Detmolder Straße brachten, ins Haus und setzte sich ins erste Zimmer gleich an der Haustür. Dass der Raum aber gerade das Schlafzimmer war, in dem meine Mutter noch schlief, - mein Vater konnte schon früh auf der Jagd gewesen sein- hatte der sture Knecht nicht bemerkt. Er saß geduldig bis meine Mutter ihn endlich auf den Flur schickte.

In den ersten Jahren gab es auch eine „Niederlassung“ in Vörden. Meine Eltern hatten in einem Gasthof an 1-2 Nachmittagen dort ihr Sprechzimmer. Die Hin- und Rückfahrt erfolgte mit dem Fahrrad: bergab saß Mutter auf dem Gepäckträger, bergauf lief sie neben Vater, der auf dem Rad saß oder dieses schob. Natürlich wurde bei der Zahnbehandlung nicht gebohrt - Gott sei Dank! - sondern kurz und bündig, unter welcher Betäubung auch immer, der Zahn gezogen oder mit einem Schaber (Excavator) der Zahn gereinigt und mit „Kavit“ verschlossen.

Es gab auch noch keine elektrische Bohrmaschine, sondern der Zahnarzt musste bei der Bohrmaschine ein Pedal treten ähnlich wie beim Spinnrad, um den Bohrer rotieren zu lassen. Und an Röntgen war noch längst nicht zu denken.

Die erste „Kartei“ in der Praxis meines Vater enthielt anfangs Namen wie „Herr Stiftzahn“ oder „Frau Goldkrone“, weil Vater einfach die Patientennamen nicht behalten konnte. Bald aber brachte Mutter „Ordnung in den Laden“, auch schon wegen des Finanzamtes.

Aufzeichnungen Dr.Fritz Lindemann

Die Sprechstunden waren von Montag bis Samstag von 9 bis 12 Uhr und von 15 bis 18 Uhr außer Mittwoch- und Samstagnachmittag. Sonntags inoffiziell von 10 bis 12 Uhr. Einen Notdienst gab es nicht. Er wurde erst in den sechziger Jahren gesetzlich eingeführt.
Die Zahntechnik wurde in der ersten Zeit durch das einzige Labor im Umkreis, das Labor Schnitz in Paderborn, angefertigt. Von Zahntechnik verstand unser Vater nur das Nötigste. Meine Mutter richtete sich dann wahrscheinlich schon vor dem Krieg im zweiten Obergeschoss, also neben Annis und meinem Schlafzimmer ein kleines Labor für herausnehmbaren Zahnersatz ein, vor allem für totale Prothesen, die zunächst nur in Kautschuk hergestellt wurden. Im Kriege gab es eine Alternative zum Kautschuk, nämlich den noch schwer zu verarbeitenden Kunststoff Paladon. Wurde er nicht lege artis verarbeitet, bekam er unhygienische, poröse und brüchige Stellen.

Aufzeichnungen Dr.Fritz Lindemann

Wir erhielten als Praxisvertreter zunächst Dr. Sträter, dann Dr. Aloys Koch aus Neuhaus. Von ihm lernte unsere Mutter, die die Zahntechnik für die Praxis erarbeitete, manche Verbesserung kennen. Die bis dato übliche Kautschukverarbeitung mit Porzellanzähnen bei totalen Oberkieferprothesen mit Saugern wurde durch die Verarbeitung von Kunststoff mit Kunststoffzähnen ersetzt. Durch die Randgestaltung wurde im Oberkiefer eine Saugwirkung erzielt, einen Gummisauger gab es nicht mehr. Als Labor wurde ein kleiner Raum im Dachgeschoss schon vor dem Krieg eingerichtet, in dem unsere Mutter bis spät in die Nacht hinein arbeitete. Sie war eine unglaublich leistungsfähige und fleißige Frau, die sich die Ausführung der schwierigen Arbeiten, vor allem der Kautschuktechnik zum Teil selbst angeeignet hatte.

Aufzeichnungen Dr.Fritz Lindemann

Noch während meines Studiums habe ich in dem nach unten verlegten Labor metallverarbeitende Geräte angeschafft, für Gold und Palladium haltige Legierungen. Eine meiner ersten Frontzahnbrücken, direkt nach dem Studium, wurde Herrn Friedrich (Fritz) Hörning eingesetzt, dem Vater von Helge Hörning. Wegen seiner massiven Schneidekante nannte Herr Hörning sie sein T-Eisen.
Fast die ganze anfallende Zahntechnik habe ich in den ersten Jahren bis abends spät im Labor des Erdgeschosses selbst erledigt. Manche Arbeit ging natürlich auch raus an den hiesigen Zahntechnikermeister Gottfried Flach. Herausnehmbaren Zahnersatz in Form von Stahl-Modellgussarbeiten fertigte für uns Herr Krage in Hameln an, der damalige Lehrherr von Herrn Flach. Der Praxisbedarf an Materialien, Instrumenten, Geräten lief über die Firmen Van der Ven in Detmold, Bulk in Bielefeld, Zahnhaus Nordwest in Bielefeld und Richter in Paderborn, später noch über die Firma Siemens in Hannover durch Herrn Hohdal, den ich in meiner Göttinger Studienzeit kennen gelernt hatte.